Damaris Nübling

Wenn das Sabine auf es Anna trifft

Dialekte treiben mitunter seltsame Blüten, etwa im Westen Deutschlands: Frauen werden hier häufig im Neutrum genannt – also "das" Anna statt "die" Anna. Forscher wollen herausfinden, warum.
"Das", "Dat", "Es" – so werden manche Frauen in Deutschland angesprochen. Aber muss es denn immer eine Neutrum-Konstruktion sein?
Quelle: dpa
Artikel veröffentlicht: 21:30 Uhr02.08.2015
Mainz. Deutschland ist geteilt. Die Trennlinie verläuft irgendwo im Westen und teilt Deutschland in einen "das"- und einen "die"-Teil. Während auf der einen Seite Mädchen namens Anne mit "die" Anne angesprochen werden, heißt es auf der anderen Seite "das", "dat" oder "es" Anne. Im Dialekt bekommen Frauen hier oft das Neutrum mit auf den Weg gegeben.
Während Zugereiste sich über die seltsame Sprach-Blüte wundern, sie meist aber nicht hinterfragen, will die Mainzer Namensforscherin Damaris Nübling dem ominösen Neutrum nun auf die Schliche kommen. Ihr Kern-Forschungsgebiet erstreckt sich von Nordrhein-Westfalen hinunter über Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg bis in die Schweiz. Überall dort gibt es Neutrum-Gegenden. Aber wer nutzt es genau und vor allem, warum? Werden alle Frauen dort so angesprochen oder nur bestimmte?
Nübling und ihr Team wollen zig Interviews in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg mit Menschen aus drei Generationen führen, um solche Fragen zu klären - bevor "das" und "es" womöglich für immer verschwinden. "Dass ein Abbau stattfindet, ist bereits zu sehen", sagt Nübling. Weit verbreitet sei die Gewohnheit dennoch - etwa in der Pfalz, in der Eifel oder im Hunsrück.
Angestaubtes Geschlechterbild
Erste Erkenntnisse lassen auf ein gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial schließen. "Wir haben mehrere Dialekte bereits untersucht", sagt Nübling. Sie vermutet die historische Quelle in der "domestizierten" Frau, die bei Haus und Hof unter der Kontrolle ihres Mannes lebte. "Das Neutrum ist das Genus, das am wenigsten Handlungsfähigkeit ausdrückt."
Damit ist nicht gesagt, dass Männer, die heutzutage ihre Frau "es" Sabine oder die Tochter "dat Jacqueline" nennen, einem angestaubten Geschlechterbild nachlaufen. Aber eventuell hat einst mal jemand unterbewusst damit angefangen. Im Dialekt lebt es nun fort. Warum vor allem im Westen, wissen die Forscher noch nicht.
Heute drücken "das" und "es" womöglich auch etwas ganz anderes aus: familiäre Wärme. Viele Frauen würden sich wohl wundern, spräche der Opa plötzlich als "die" über sie - weil es Distanz ausdrückt. "Es ist eine Art Verniedlichung, die heute selbstverständlich gebraucht wird", sagt Klaus-Michael Köpcke, Germanistik-Professor an der Uni Münster. "Dahinter liegen aber Schichten, die sich entwickelt und möglicherweise einen anderen Ursprung haben. Bei Männern kommt diese Bezeichnung nämlich interessanterweise nicht vor."
Saarländische Herzlichkeit
Eine Vorzeige-"es"-Frau ist in gewisser Weise Alice Hoffmann. Die Schauspielerin mimte einst die etwas einfältige Hilde Becker in der Saarland-Comedy "Familie Heinz Becker". Genauer gesagt "es Hilde". "Im Saarländischen hat das "es" einen herzlichen Beigeschmack würde ich sagen. So ähnlich wie "Schätzchen"", sagt Hoffmann. Wenn sie darüber nachdenke, werde ihr aber schon bewusst, dass es etwas mit Diskriminierung zu tun haben könnte.
Im Grunde geht es daher bei der einfachen Frage, warum Anna mancherorts "das" Anna heißt, um mehr als Dialekte. Es ist ein Netz aus Sprache, Traditionen, Familie und Emanzipation, in dem die Forscher nach Antworten suchen. Was man dann aus diesen schlussfolgern kann, ist offen. Zumindest für Deutschland.
Im einst "festen Neutrumgebiet" Schweiz ist nämlich bereits etwas ins Rutschen geraten. Zumindest hat Namensforscherin Nübling das beobachtet. "In der Schweiz gibt es ein anderes Sprachbewusstsein. Da wehren sich die Frauen dagegen", sagt sie. In Deutschland sind "es" Anne und "das" Sabine hingegen noch recht zufrieden mit ihren Namen.
dpa