Lehre am Deutschen Institut

HNDL/SFNL I-V (Master): Generationen in der Literatur am Beispiel der Weimarer Republik

Dozent:innen: Dr. Johannes Ullmaier
Kurzname: HNDL
Kurs-Nr.: 05.067.1130
Kurstyp: Seminar/Hauptseminar

Voraussetzungen / Organisatorisches

Bitte beachten Sie, dass der Beginn des Vorlesungsbetriebs des Sommersemesters 2020 auf den 20. April 2020 verschoben wurde. Weitere Informationen: https://sl.uni-mainz.de/information-zum-umgang-der-jgu-mit-dem-coronavirus/

Empfohlene Literatur

Zur Einstimmung:

- Mannheim, Karl: Das Problem der Generationen (1928) – online etwa hier: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0100_gen_de.pdf

Inhalt

Was ist eine Generation? Die Antwort scheint banal: ein Glied in einer genealogischen Ordnung. Zeigt ein Foto etwa eine Mutter, deren Sohn, dessen Tochter und deren Sohn, so sieht man vier Generationen, klar getrennt nach Abfolge und Alter: Urgroßmutter – Großvater – Mutter – Sohn.

Doch nicht immer entspricht die Ordnung der Familienglieder auch der Jahrgangsordnung. Das Kind einer Person kann älter sein als deren Schwester, die Cousine älter als der Großonkel. Je verzweigter eine Genealogie, desto loser das Verhältnis. Selbst in direkter Linie kann die Ordnung fraglich werden, sei es durch obsessive Heiratspolitik (wie in Heimito von Doderers Roman „Die Merowinger“) oder durch intergenerationellen Inzest (wie bei den Kindern von Ödipus und seiner Mutter Iokaste).

Gerade in größeren Gesellschaftsformationen liegt es deshalb nahe, den Generationsbegriff vom Familiären zu lösen und zu sagen: Eine Generation sind alle, die in etwa gleichzeitig zur Welt kommen. Doch auch das wirft Fragen auf: Wer sind „alle“? Auch Tiere? Frühverstorbene? Romanfiguren? Zählt ein um 1400 geborener Kiowa-Apache wirklich zur selben Generation wie eine gleichzeitig geborene Türkin? Und was heißt „in etwa gleichzeitig“? Mit höchstens zwei, zehn oder dreißig Jahren Abstand? Und wo soll die Grenze sein? Kinder kommen schließlich ständig auf die Welt.

Dass die genealogische und die kalendarische Definition des Generationsbegriffs nicht ganz ineinander aufgehen, erlaubt und drängt zugleich dazu, ihn weiter auszudifferenzieren. Nicht zuletzt unter dem Druck von immer unübersichtlicheren Gegenwartskonstellationen wird er spätestens bei Wilhelm Dilthey auch epochensoziologisch konzipiert, als Medium, in dem kulturgeschichtliche Anwesenheitsformationen und -verschiebungen beschrieben und verhandelt werden können. Die Kernfrage lautet nun: Wer teilt mit wem jeweils welche historischen Bedingungen, Dispositionen, Leitdifferenzen, Erfahrungsräume und prägenden Erlebnisse? Und mit wem gerade nicht mehr oder noch nicht? In diesem Sinne „Generationen“ zu modellieren, auszurufen oder zu verabschieden, ist dann nicht länger eine Zuteilung zu einer bestimmten Familienposition oder Alterskohorte, sondern ein Sprechakt im Diskurs um Zeitgenossenschaft – sei es in der wissenschaftlichen Diskussion seit Karl Mannheims grundlegendem Aufsatz „Das Problem der Generationen“ (1928) oder im publizistischen Ringen um Labels wie „Kriegsgeneration“, "Beat Generation", „Baby Boomer“, „Millennials“, „Generation Golf / X / Y / Z / Praktikum / Schneeflocke / Greta usw.“. Dass kaum je Einigkeit besteht, welche Geburtsjahrgänge genau dazugehören, ist weitgehend strukturbedingt.

Das dynamische Irisieren zwischen Genealogie, Chronologie und Zeitgenossenschaft prägt den Generationsbegriff auch im literarischen und literaturhistorischen Diskurs. Ziel des Seminars soll es sein, das Feld literarischer Generationsverhältnisse exemplarisch zu erkunden. Als Untersuchungszeitraum bietet sich dafür aus mehreren Gründen die Periode der Weimarer Republik von 1918 bis 1933 an:

a) inhaltlich, da sie für alle drei Aspekte augenfällige Beispiele bereithält:
- genealogisch am prominentesten die spannungsreichen Beziehungen innerhalb der Familie Mann mit Thomas bzw. Heinrich auf der „Väter/Onkel“- und Klaus bzw. Erika auf der „Kinder“-Seite,
- chronikalisch allgemein die Jahrgangskohorte der Kriegsfreiwilligen und -unfreiwilligen des Ersten Weltkriegs sowie speziell mehr oder weniger parallel erschienene Werke über mehr oder weniger parallele Ereignisse von mehr oder weniger engen Generationsgenossen, z.B. die Romane zur Landvolkbewegung von Hans Fallada, *1893, "Bauern, Bonzen und Bomben" (1931), Ernst von Salomon, *1902, "Die Stadt" (1932) und Bodo Uhse, *1904, "Söldner und Soldat" (1935).
- sowie zeitgenossenschaftlich den komplexen Epochenübergang aus der Avantgarde/Expressionismus-Periode zur Neusachlichkeit und die erste Generation schreibender „Neuer Frauen“ wie Mascha Kaléko, Irmgard Keun, Marieluise Fleißer oder Vicki Baum,

b) theoretisch, da wesentliche Stationen der jüngeren Begriffsbildung – angefangen beim oben genannten Aufsatz von Karl Mannheim – in diesen Zeitraum fallen, und schließlich:

c) didaktisch durch den glücklichen Umstand, dass dem Seminar mit der zeitkartografischen Software HERODOT und dem darin zugänglichen tageschronologischen Datenbestand zur Weimarer Republik ein digitales Tool zur Verfügung steht, das die Chance eröffnet, generationellen Thesen mit den technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts nachzugehen.

Termine

Datum (Wochentag) Zeit Ort
17.04.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
24.04.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
08.05.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
15.05.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
22.05.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
29.05.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
05.06.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
12.06.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
19.06.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
26.06.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
03.07.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude
10.07.2020 (Freitag) 16:15 - 17:45 02 463 P207
1141 - Philosophisches Seminargebäude