Text als Musik – Musik als Text

 

Sommersemester 2013

Im mythischen Ursprung waren Dichtung und Musik angeblich eins. Erst später trennten und verzweigten sie sich über viele Stadien bis zum heutigen Spektrum, an dessen Enden zwischen einem Beethoven-Klavierkonzert, Techno-DJ-Set oder Freejazz-Tuba-Solo auf der einen Seite und den aktuellen Belletristik-Bestsellern oder einem Lyrikband auf der anderen keine gemeinsame Wurzel mehr erkennbar ist. Doch erstens finden sich mit Lied, Popsong, Musical, Oper und Kabarett-Couplet durchaus lebendige Genres, wo die ursprüngliche Verbindung noch ungebrochen scheint; und zweitens hat es gerade in Anbetracht der nominell erfolgten Trennung fortwährend Impulse zur Wiederannäherung gegeben: allgemein entweder durch Literarisierung und/oder Vertextung von bzw. der Musik, etwa als Musikrhetorik, Notensemantik, Programmmusik, Konzeptmusik etc.; oder umgekehrt durch Musikalisierung bzw. (Rück-)Verklanglichung von bzw. der Sprache und/oder Dichtung, wie in jeder Form von wirkungsoptimierter Re-Prosodierung bzw. -Metrisierung (z.B. in der Werbung), Klangstilistik oder Musikformadaption (etwa als „Todesfuge“). Oder sei es in generischen Kombinationen wie dem Bänkelsang, der Liedballade, dem Melodram, Jazz & Lyrik oder dem Rap, bis hin zu aufs Engste (re-)integrierenden Konzepten wie der avantgardistischen Lautpoesie (Ball, Hausmann, Schwitters), Lily Greenhams „Lingual Music“, Hans G Helms‘ „Fa:m’ Ahniesgwow“ (mit der bezeichnend vertrackten Selbsteinordnung als „Experimentelle Sprach-Musik-Komposition/Hörspiel“), Gerhard Rühms „Bleistiftmusik“ oder dessen „Ton-Dichtungen“, bei denen Texte buchstäblich in Noten übersetzt werden.
Die Übung möchte das Möglichkeitsspektrum im Verhältnis von literarischen Texten und Musik an prägnanten Beispielen auffächern und untersuchen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der deutschsprachigen Literatur seit der Moderne, wobei andere trans- und synästhetische Kunst-, Sprach- und Kultursphären wie vor allem im Symbolismus, Futurismus oder Dadaismus naturgemäß nie fern sind. Besondere Aufmerksamkeit soll der Rolle der Tonaufzeichnung seit Beginn des 20. Jahrhunderts zukommen.