Kleine Formen

Wintersemester 2019/20

Lange Zeit galt die kleine Form vom Sprichwort über Witz und Anekdote bis zur Glosse oder Seminarankündigung eher als Petitesse, klein an Umfang wie Bedeutung, zumal in Relation zum Opus Magnum, dem Epos, Opernring oder Qualifikationsziegel.
Doch mit der modernen Vervielfachung und Instantaneisierung der Kommunikationswege scheint sich das gewandelt, ja verkehrt zu haben, so als bliebe im permanenten Simultan-Ansturm des Vielzuvielen überhaupt nur noch dem Kleinen – dem Tweet, Newsflash, Handy-Haiku oder Klappentext – eine reale Rezeptions- und damit Überlebens-Chance, während alles Große unter dem Beschuss der Mikrobotschaften verdampfe.
Mag es für diesen Eindruck auch viele Indizien geben, ist die Lage doch genau besehen komplizierter: Nicht nur gab es immer schon auch eminente Kleinformen wie den Aphorismus, und nicht nur entstehen aktuell auch neue Großformen wie Binge-Watch-Serien oder uferlose Gaming-Welten, sondern auch die kleinen Formen evolvieren je nach Medium, Tradition, Funktion und Kontext äußerst unterschiedlich. Diesen Wandel differenziert zu fassen fällt jedoch nicht leicht, schon deshalb nicht, weil nach wie vor kaum allgemein zu sagen ist, was bei der „kleinen Form“ denn „klein“ bedeutet. Und was „Form“.
Die Frage nach der Kleinen Form nach Gattungen zu differenzieren und im Vergleich womöglich größere Linien zu erkennen, ist Ziel des Seminars. Dabei sollen sowohl traditionelle literarische Kleinformen wie Märchen, Kurzgeschichte oder Apophthegma in den Blick kommen als auch funktionale wie Kurzvita und Pitch oder neueste wie Instapoetry oder Pecha Kucha. Als diachrone Sonderspur soll die Entwicklung nachrichtlicher und i.d.R. dialogischer Kleinformen vom Brief über das Telegramm, Fax und E-Mail zur App-Message verfolgt werden.