Das Gesetz der Serie

 

Sommersemester 2011

Was wird in fünfzig Jahren als kulturelle Leitgattung der sogenannten Nuller Jahre gelten? Antwort heute immer öfter: Nicht die vielleicht teils gute, doch nur noch am Rande wahrgenommene Literatur, nicht der stagnierende (Hollywood-Spiel-)Film, auch nicht die verarmte Pop- und E-Musik, sondern TV-Serien wie „The Wire“, „Sopranos“ oder „Six Feet Under“. In ihrer Realitätsdichte, Plot-Breite, Autoren-Autonomie, arbeitsteiligen Produktionslogistik und medialen Mehrgestalt (TV und Display, Stream und DVD-Box) seien sie der einzig zeitgemäße Ausdruck der komplexen Gegenwart und damit legitime Nachfolger der epischen Gesellschaftspanoramen des 19. Jahrhunderts à la Balzac oder Zola, Tolstoi oder Dickens.
Inwieweit das zutrifft, sei dahingestellt. Unabhängig davon bleibt zu fragen, ob die stilbildenden Serien der jüngeren Zeit das Arsenal erzählerischer Möglichkeiten, wie es die Erzähltheorie traditionell am Paradigma fiktionaler Texte untersucht, substantiell erweitert haben und daher neue bzw. modifizierte Kategorien erfordern. Wo konkret liegen mögliche Verschiebungen gegenüber a) abgeschlossenen Literatur-bzw. Werkformen wie Roman, Novelle, Epos oder Drama, b) print-kulturell lang etablierten Serienformen wie dem Fortsetzungsroman, c) traditionellen Spielfilmen sowie d) den Serien- bzw. Reihenformaten früherer Radio- und Fernsehepochen.
Als Untersuchungsgegenstände kommen neben den genannten auch deutsche Serien wie Edgar Reitz‘ „Heimat“ oder Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ in Betracht. Die Programmauswahl erfolgt gemeinsam in der ersten Sitzung.