Das Hörbuch

 

Sommersemester 2012

Was heute „Hörbuch“ heißt, ist schlimmstenfalls bloß der Versuch, ein fertiges Printprodukt mit minimalem Aufwand zweitzuverwerten, indem man einen prominenten Menschen, der den Text mehr oder weniger begreift, eine gekürzte Light-Version davon ins Mikrophon einsagen lässt, um sie dann Leuten, die zum Selbstlesen zu faul oder zerstreut sind, zu gediegener Nebenbei-Berieselung anzudienen.
Im besseren Fall dagegen ist das Hörbuch ungleich mehr: zum einen eine existentielle Hilfe für Menschen, die sich für einen Text interessieren, ihn jedoch aus welchen Gründen auch immer nicht mit den Augen rezipieren können, zum anderen aber, weil es dem Gedruckten etwas Elementares hinzufügt, oder besser: wiedergibt, nämlich die Stimme, ihren Duktus, Tonfall, Rhythmus, Sound und Atem, also die akustische, orale Dimension. Damit stellt ein Hörbuch sowohl im auditiven wie im gehaltlichen Sinn stets eine Interpretation dar, sei es durch den Autor selbst oder durch Andere. Nicht selten kommt der Text dadurch erst wirklich zu sich, wodurch das Audiomedium zur eigentlichen Werkform wird. Und manchmal kommt die Stimme sogar ohne Textvorlage aus, weil die Erzählform sich – wie etwa bei Carl Zuckmayers „Die Hirschkuh“ oder Peter Kurzecks „Ein Sommer der bleibt“ – im Sprechen selbst erschafft.
Ziel des Seminars ist es, anhand repräsentativer Beispiele Grundzüge eine Ästhetik des Hörbuchs zu skizzieren, wobei neben einer Hermeneutik der Stimme und ihrer Aufzeichnung auch Fragen nach einer aussagekräftigen Gattungstypologie, dem Verhältnis Buch/Lesefassung, der technischen Realisation, dem möglichen Sonderstatus der Autorstimme, der paratextuellen und medialen Darbietung, der Vertriebsform sowie der Historie und ökonomischen Zukunft des Hörbuchs erörtert werden sollen.
Ein umfangreicher Apparat mit Hörbeispielen wird bereitgestellt. Die endgültige Auswahl erfolgt in gemeinsamer Absprache. Vorschläge sind willkommen.