Der Hanswurst

 

Sommersemester 2012

In seiner allgemeinen Form als derber Spaßmacher scheint der Hanswurst sich unabhängig von Epoche und Gesellschaftsformation stets wie von selber einzustellen: als Witzbold, Possenreißer, Hofnarr, Zirkus- oder Klassenclown. Im engeren Sinn kam er dagegen Anfang des 18. Jahrhunderts im Theater auf die Welt, in Gestalt von Josef Anton Stranitzky, der die komische Figur des tölpisch-schlau-verfressenen Dieners in den Haupt- und Staatsaktionen seines Wiener Volkstheaters so populär machte, dass sich der Literaturreformer Johann Christoph Gottsched 1737 genötigt sah, sie in einem symbolischen Akt von der deutschen Bühne zu vertreiben – was freilich, wo überhaupt, nur kurz und regional gelang. Schließlich hat Hanswurst außer seinen Vorfahren in der antiken Komödie international viele Verwandte: Arlecchino (Harlekin) in der italienischen Commedia dell‘arte, Guignol in Frankreich, Mr. Punch bzw. Pickelhering in England oder Petruschka in Russland. Auch wenn sich Hanswursts Fortleben fortan – trotz Goethes Fürsprache und Faible für ihn – überwiegend außerhalb der Hochkultur abspielte, blieb er doch weiterhin lebendig: von romantischen Wiedererweckungen etwa bei Tieck über den Jahrmarkts- und Puppenspiel-Kasper – literarisch geadelt durch Graf von Pocci, Walter Benjamin („Radau um Kasperl“) oder Max Kommerell – bis zum Augsburger Kasperle, dem Holsteiner Verkehrskasper oder Michael Orths Kullerköpfen.
Ziel des Seminars ist es, die historische Genese des Hanswursts in ihren wichtigsten Stationen nachzuzeichnen, seine habituellen, mimisch-gestischen, dialektalen und dialogtaktischen Charakteristika herauszuarbeiten und die Rolle seiner Kaspereien in der Theaterwelt wie auf dem Welttheater zu begreifen.