Der Narr in Geschichte und Gegenwart

 

Wintersemester 2009/10

An kaum etwas herrscht auf der Welt so wenig Mangel wie an Narren. Entsprechend reich ist ihre Typologie: Es gibt Profis (Hofnarr) und Ehrenamtliche (Büroclown), Narren neben (Fool) und Narren auf dem Thron (King Lear), durch Tracht und Insignien markierte (Arlecchino) und inkognito agierende (Mr. Bean), saisonale (Fastnachtsnarr) und ganzjährige (Regelfall), fingierende (Hamlet) und naturechte (im Spiegel), Einzelne (Till Eulenspiegel), Paare (Stan & Olli) oder Kollektive (Schildbürger), artistische (Harpo Marx) und plumpe (Grobianus), Idealisten (Don Quichote) und Materialisten (Hanswurst), heitere (Herman Munster) und melancholische (Woody Allen), vor allem aber relativ zu ihrer jeweiligen Umwelt entweder ungleich dümmere bzw. verblendetere oder aber ungleich schlauere bzw. weisere. Und schließlich die unerfindlichen, deren Narrentum zwischen Trottel, Trickster und Orakel irisiert (Simplicissimus, Schwejk, Charlot).
Ausgehend vom Beginn und Höhepunkt des neuzeitlichen Narrendiskurses – Erasmus von Rotterdams „Lob der Torheit“ (1511) – wird sich das Seminar zunächst den Archetypen aus der frühen Blütezeit literarischer Narrendarstellung widmen (u.a. Sebastian Brant, „Das Narrenschiff“, 1494; „Thyl Ulenspiegel“, 1510/11; Miguel de Cervantes: „Don Quichote“, 1605/15; William Shakespeare, „King Lear“, 1605/6), um dann mit Zwischenhalten bei den „Nachtwachen des Bonaventura“ (1804) und Büchners „Leonce und Lena“ (1836) zur Gegenwart aufzuschließen, wo wie immer eine Minderheit komplex inszenierter Narrenfiguren (darunter Helge Schneider) einer prallen Mehrheit schlicht bis gar nicht inszenierter Narrengestalten gegenübersteht.