Literaturfehden

 

Wintersemester 2010/11

Wenn es in der Literatur zu öffentlichem Streit kommt, geht es in der Regel nicht nur sachlich zu. Vielmehr entstehen wechselnde Gemengelagen aus Polemik, Häme und Spektakel einerseits sowie Erkenntnis, Neuerung und/oder Klärung – mindestens der je bestehenden Fronten – andererseits. Dabei fällt es in der Hitze des Gefechts sowohl den Kontrahenten wie auch zeitgenössischen Beobachtern oft schwer, zwischen Argument und Anwurf, Position und Person zu trennen, umso mehr, wenn man nur die publizierten Äußerungen und nicht auch die informellen Hintergründe kennt. Entsprechend muss der Kern einer Auseinandersetzung nicht unbedingt immer für alle völlig klar sein, während sie noch läuft. Von ihrer literaturhistorischen Bedeutung ganz zu schweigen.
Ist der Streit dagegen einmal ausgetragen oder abgeflaut, wächst die Chance zu ausgewogener Analyse, zumal wenn nachträglich veröffentlichte Dokumente, Briefe, Tagebücher oder Memoiren den Hergang zusätzlich beleuchten. Allerdings schwindet mit wachsendem historischem und/oder soziokulturellem Abstand meist auch die Vertrautheit mit den jeweiligen Anlässen, Umständen und Stimmungen. Und nicht zuletzt das Interesse.
Beispielhaft fordert und illustriert die Untersuchung einschlägiger Literaturfehden so den allgemeinen literaturgeschichtlichen Balanceakt, zugleich Nähe und Distanz zu kultivieren, sich also möglichst intensiv in eine historische Situation hineinzufinden, ohne dabei doch Partei zu werden. Das Seminar möchte versuchen, durch vergleichende Analyse einiger denkwürdiger literarischer Duelle herauszuarbeiten, wie sich die gehaltlichen, rhetorischen, publikationstaktischen und soziopsychologischen Muster der Literaturfehde herausgebildet und gewandelt haben. Gesetzt sind: Gottsched gegen Bodmer/Breitinger, Goethe/Schiller („Xenien“) gegen (fast) den Rest der (damaligen Geistes-)Welt, Heine gegen Börne, Karl Kraus gegen Alfred Kerr und Max Frisch gegen Emil Staiger. Bei zügigem Vorankommen führt die Spur bis in die Gegenwart, aktuell etwa zur sogenannten Hegemann-Debatte.