Oral-mediale Literatur

Wintersemester 2015/16

Die frühesten Dichtungen der Menschheit wurden mündlich vorgetragen und auch überliefert. Mit der Verschriftlichung der Poesie erreichte diese zwar ein ungleich höheres Maß an Werkfixierung, Reichweite und Dauer, löste sich im selben Zug jedoch vom ursprünglichen Stimmklang und Performance-Akt. Wenn Literatur danach noch laut erklang und nicht bloß still gelesen wurde, dann meist als Rezitation, d.h. akustische Reproduktion zuvor fixierter Schrift. Mangels geeigneter Speichermedien wurde diese allerdings so wenig überliefert wie der unvermindert fortbestehende Unterstrom primär oralen Erzählens. Erst die Erfindung der Tonaufzeichnung brachte die entscheidende Wende: Denn mit ihr bot sich die Möglichkeit, sowohl Rezitationen als auch freie Erzählungen akustisch zu dokumentieren oder genuin zu produzieren, d.h. aufzunehmen, ggf. zu bearbeiten und als Audio-Literatur zu publizieren. Für Lesetexte ist das heute gängige „Hörbuch“-Praxis, während es für frei Erzähltes noch eher selten explizit so praktiziert und rubriziert wird. Umso spannender sind die Ausnahmen einer spezifisch oral-medialen Literatur, um deren Struktur und Wirkung es in dieser Übung kontrastiv zum Schrift- und Vorleseliteraturstandard gehen soll.
Auf dem Programm unter anderem: Elsa Sophia von Kamphoevener „erzählt orientalische Märchen“; Carl Zuckmayer: „Die Hirschkuh“, Peter Kurzeck: „Da fährt mein Zug“; Dieter Wellershoff: „Schau dir das an, das ist der Krieg.“