Sommersemester 2017
Im Theater sieht man ein Drama traditionellerweise sukzessiv von vorn nach hinten ablaufen, ebenso auch einen Film im Kino. Und in vielen Fällen entspricht das – abgesehen von Zeitsprüngen zwischen einzelnen Akten oder Szenen bzw. Sequenzen und rituellen Spielpausen (vor allem im Theater) sowie gelegentlichen Rückblenden (vor allem im Film) – weitgehend auch der dargestellten Handlung. Schaut man aber genauer hin, zeigt sich ein differenziertes Bild: Nicht nur, weil das Dargestellte im Zuge neuerer Medienentwicklungen und der damit einhergehenden Rezeptionsgewohnheiten beliebig unterbrochen, gestoppt, vorgespult, beschleunigt, wiederholt oder parallel zu Anderem rezipiert werden kann, ob durch Hin- und Herzappen zwischen verschiedenen Programmen oder auf mehreren Schirmen, Fenstern oder Displays, sondern auch schon innerhalb der klassischen Formate. Ausgehend vom ‚sukzessiven Standard‘ in Theorie und Praxis, d.h. konkret: anhand der betreffenden Abschnitte aus aktuellen Lehrbüchern der Dramen- bzw. Filmanalyse sowie – als Beispielen – Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“ (1808/1811) bzw. Sidney Lumets „Twelve Angry Men“ (1957), widmet sich die Übung anhand von Werken wie Johann Nestroys Querschnitt-Bühnen-Stück „Das Haus der Temperamente“ (1837), Abel Gance’ Triple-Leinwand-Film „Napoléon“ (1927) und Oliver Hirschbiegels Parallel-Kanal-TV-Film „Mörderische Entscheidung“ (1991) der Frage, welche Möglichkeiten szenischer Paralleldarstellung in der Geschichte des Dramas und des Films entwickelt und erprobt wurden und was mit ihnen zu erreichen ist.