Text und Timing am Beispiel Komik

Sommersemester 2018/19

Ob mündlich, schriftlich oder in Gedanken: Um einen Text zu re/produzieren, braucht man Zeit. Besonders klar wird das, wenn gegen Ende einer Vortragszeit noch sehr viel Vortrag übrig ist oder der Abgabetermin heranprescht. Ist ein Text dagegen einmal fertig, scheint er im Prinzip der Zeit enthoben. Man kann ihn speichern und jederzeit lesen, egal wie schnell, wie oft, in welche Richtung und mit wie vielen Pausen oder Sprüngen. Nichts davon gefährdet seine ‚zeitlose‘ Struktur als Zeichenkette.
Doch so starke Evidenzen es sowohl für die Zeitlichkeit wie auch für die Zeitenthobenheit von Texten gibt, so wenig scheint die allgemeine Relation von Text und Zeit bislang geklärt. Und zwar weder theoretisch, d.h. in Bezug auf den ontischen Status von Texten im verwirrenden Gefüge von „Zeichen“, „Sprache“, „Sprechakt“, „langue/parole“, „Kommunikation“, „Medialität“ und Außersprachlichem; noch praktisch, d.h. in punkto Text-Timing: Wann anfangen? Wie schnell erzählen/reden? Wo langsamer, wo schneller werden? Wo pausieren? Wie lang? Wann aufhören? Was will der Text? Was die Performance? Was will mein Mund? Und was das Publikum?
Vieles läuft dabei wie von allein und oft ganz glatt, so dass es keinen Anlass gibt, darauf zu achten. Allerdings gibt es genügend Fälle, wo das Timing prominent wird, weil es entweder hakt bis scheitert oder umgekehrt besonders eindrucksvoll hervorsticht.
Die Übung möchte dazu einladen, text-interne wie text-externe zeitliche Gegebenheiten und Notwendigkeiten selber zu erleben und zu reflektieren. Als überschaubare und besonders prägnante Beispiele sollen dazu Kurzgattungen der (Sprach-)Komik aus verschiedenen Epochen dienen, von frühneuzeitlichen Fazetien bis zum gestreamten Stand-Up-Gag, mono- oder dialogisch, sublim bis brachial, vor allem aber: perfekt bis katastrophal getimed – wobei die Katastrophen nicht nur lehrreicher, sondern auch lustiger sein können.